Susanne Ring – Rätsel des Daseins
Als „Wesen einer Zwischenwelt“ wurden die formenreichen keramischen Figurationen der Berliner Künstlerin Susanne Ring einmal bezeichnet. Und auch als „fremd und rätselhaft“. Wir, die wir diese
Kunst betrachten, reagieren darauf zunächst emotional und fragend, zumal sich viele ihrer Figuren auf dem ersten Blick dem logischen Erfassen sperren. Doch das fantasiereiche Abweichen vom
gewohnten menschlichen Körperbild, die scheinbar absurden oder grotesken Körperverformungen, schöpfen aus vielen Quellen - aus den Werken archaischer oder völkerkundlicher Kunst beispielsweise
wie den afrikanische oder ozeanische Kultmasken- und Skulpturen etwa oder den Mythen, Märchen, der Literatur und dem Film.
Für die Bildende Kunst wurde das Tor zu solchen phantastischen Figurenwelten, wie sie auch Susanne Ring geformt hat, bereits in der Spätgotik geöffnet, etwa durch die grotesken Figuren auf den
Höllensturzbildnissen von Altartafeln. Hieronymus Bosch (1450-1516) Bosch oder Pieter Breughel d. Ä.
(ca. 1530-1569) entwickelten diese moralisierenden Bildfindungen in der Spätrenaissance weiter.
Doch was das dreidimensionale Bildnis, die Skulptur also anbelangt, kommen die eigentlichen Vorläufer aus dem Surrealismus und waren Künstler wie Pablo Picasso (1881-1938) oder Max Ernst (1891-1976).
Sie ließen sich für ihre künstlerischen Imaginationen und Visionen von archaischen, ozeanischen und afrikanischen Plastiken inspirieren.
Was uns die Keramikerin Susanne Ring in ihrer Kunst vor Augen führt sind zumeist Kleinplastiken - Einzelfiguren, Figurenpaare oder Figurengruppen. Es gibt androide Figuren, Mischwesen, Fabelwesen
aus Mensch und Tier und Mensch und Pflanze sowie Tierfiguren. Bei den Menschenbildnissen steht unverkennbar die frontale Darstellung im Vordergrund. Das gilt übrigens auch für die Zeichnungen der
Künstlerin. Dargestellt ist die menschliche Figur jedoch auch in stehender, sitzender oder liegender Haltung. Manchmal enden Arme oder Beine in Stümpfen und die Körper sind anatomisch nur
fragmentarisch ausgeformt.
Susanne Rings Umgang mit dem Werkstoff Ton ist durch ein geistiges und künstlerisches Konzept charakterisiert in dem das Spielerische ebenso wie das Experimentelle eine erhebliche Rolle spielt.
Es finden sich beispielsweise auch Materialkombinationen (Holz, Porzellan, Stein, Glas u.a.) sowie Kombinationen von Figuren mit Alltagsmaterialien, etwa Stühle, Tische oder Schränke. Der
komplexe Herstellungsprozess der Figuren - von der Idee über die Gestaltung bis zum Brennprozess - lässt auch dem Zufall Raum. Diese Vorgehensweise trägt zur eigenwilligen Ästhetik der Skulpturen
von Susanne Ring bei.
Die Figurenwelt der Künstlerin reflektiert vieles, was zwar weniger in unserer Alltagswirklichkeit eine Rolle spielt, was aber doch kollektiv in unseren Köpfen gespeichert ist. Ihre Figurationen
eröffnen zum einen Assoziationen an weit zurückliegende Zeiten – an antike und christliche Mythen beispielsweise. Zum anderen ist Susanne Rings Kunst in der Aktualität der Moderne verankert. Im
Universum dieser Kunst vermischt sich letztlich alles übergangslos miteinander.
Einen so weiten Bogen durch die Menschheitsgeschichte zu spannen, gelingt der Künstlerin, indem sie eine Aura um ihre Figurationen legt. „Besonders durch das Frontale haftet den Figuren etwas
Unmittelbares an. So als hätten sie etwas mitzuteilen. Ihre eigene Geschichte vielleicht“, schreibt die Kunsthistorikerin Jacqueline Maltzahn-Reding. Susanne Rings Schöpfungen suchen den Dialog.
Das ist unverkennbar. Und in den Ausstellungen der Künstlerin ist die Spannung, die sich aus dem Prozess des Austausches zwischen Betrachter und Kunstwerk ergibt, oft eindrucksvoll erlebbar.
Überhaupt ist es der Annäherungsprozess an die Schöpfungen von Susanne Ring, der das Kunsterlebnis so spannend macht. Es gibt Figuren die eine rätselhafte Distanz entfalten oder eine Aura der
Stille mit sich tragen. Und es gibt andere, die dem Betrachter merkwürdig vertraut erscheinen. Oft sind das jene Figuren, denen etwas Schwermütiges und Tragisches oder auch Einsam-entrücktes
innewohnt.
Dem Eindruck, diese Figuren seien durch die Zeit gegangen, wird sich der Betrachter kaum erwehren können. Susannen Rings Figurationen wirken verletzt und fragil und sind so „aufgeladen“, als
hätten sie menschliches Dasein und Leben, Tod und Gewalt vielfach durchlitten. Sie vermitteln dem Betrachter ein Selbstbild. Und deshalb lassen sich als Stellvertreterfiguren ausmachen, als
Stellvertreterfiguren, die uns selbst und das Rätsel unseres Daseins spiegeln. Es ist so, als wollten uns diese zeitlosen Figuren durch ihre Präsenz einen Einblick vermitteln in die tiefsten
Schichten der menschlichen Seele und in das Rätsel unseres Daseins.
André Lindhorst, Jan. 2017
"Beisser", 2012,
Keramik, gebrannt, engobiert
"ohne Titel", 2015,
ca. 60 x 41 cm, Pastell auf Papier
"Zorn", 2015,
ca. 53 cm, Keramik, Raku